26. November 2019, Budapest

Sehr geehrte Eminenzen und Exzellenzen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Brüder!

Ich begrüße Sie herzlich. Die Aufgabe ist mir gestellt worden. Nach Bischöfen, ja nach Kardinälen, ja nach einem Patriarchen zu Ihnen zu sprechen ist eine schöne Aufgabe. Hinzu kommt noch, dass ich von einem der vor mir sprechenden Bischöfe, der sogar meiner Gemeinschaft vorsteht, einmal ein Büchlein mit dem Titel bekommen habe: „Mini Praxis Pietatis.” Darin steht über die Rede: „Rede. Wenn möglich: nichts. Wenn es sein muss: nicht ins Einzelne gehen, nicht sich beschweren, nicht sich beklagen, nicht prahlen.” Sie sehen, christliche Redner dieser Art haben es nicht leicht. Ich werde also nicht ins Einzelne gehen, ich werde mich also nicht beschweren und ich werde nicht prahlen. Auf Grund des Buches kann ich heute über eine einzige Sache sprechen: Warum tut Ungarn, noch genauer warum macht die ungarische Regierung das, was sie tut, und warum setzt sich gerade Ungarn für die verfolgten Christen ein? Auf diese Frage suche ich die Antwort.

Liebe Gäste!

Die meisten der ungarischen Stämme, mehrere hunderttausend Menschen kamen vor 1.100 Jahren hier an, und haben sich hier ihr Leben eingerichtet. Nicht wir waren die ersten, vor uns waren schon zahlreiche Völker hierher gekommen und verschwunden, ausgestorben oder weitergegangen. Die Ungarn sind bis auf den heutigen Tag neugierig, warum uns nicht dieses Schicksal ereilt hat. Warum sind wir, Ungarn, nicht verschwunden? Warum sind wir, Ungarn, erhalten geblieben? Dabei sind wir anderer Art, um uns finden wir Germanen und Slawen, und wir gehören zu keinen von ihnen. Wir sind auch kulturell fremd, unsere Sprache ist einzigartig, in dieser Gegend ohne Verwandte, unsere Lieder, unsere Literatur und unsere Tänze sind nur für uns charakteristisch. Die anerkannteste Antwort lautet, unsere soldatischen Tugenden und unsere unbestreitbare Lebenskraft hätten zum Überleben nicht gereicht. Laut der anerkanntesten Antwort war das Schlüsselmoment unseres Erhaltenbleibens die Aufnahme des christlichen Glaubens. Es gibt Meinungen, die dies in erster Linie als ein diplomatisches Bravourstück, als eine staatsorganisierende Leistung ansehen – dies geschah vor tausend Jahren –, und das war es auch. Doch darüber hinaus oder eher all dem vorausgehend war dies auch eine seelische Wiedergeburt und tatsächliche Buße. Eine eigentümliche Variante der christlichen seelischen Einstellung und der eigentümlichen ungarischen christlichen Staatsordnung wurde hier vor tausend Jahren geboren. In den vergangenen tausend Jahren haben wir zwar diesen Weg manchmal verlassen, aber am Ende haben wir immer zurückgefunden. Deshalb sagt die ungarische Verfassung: „Wir anerkennen die die Nation erhaltende Kraft des Christentums.” Das ungarische Volk und die ungarische Regierung glauben also daran, dass das Christentum das Erhaltenbleiben der Völker und der Nationen auf die Weise unterstützen kann, wie das mit uns geschehen ist.

Liebe Gäste!

Unser erster christlicher König war mehr als ein herausragender Herrscher, er war auch ein Seher. Er hat ein Buch geschrieben, eine Wegweisung, einen seelischen und politischen Kompass. Obwohl er vor tausend Jahren für seinen Sohn geschrieben hat, lesen wir, Ungarn, es trotzdem wie eine an uns gerichtete persönliche Botschaft. Und wir sind in dem Bewusstsein, dass wenn wir das beherzigen, was er geschrieben hat, wenn wir daran festhalten, dann werden wir uns eine starke Heimat, eine blühende Kultur, ein liebendes Zuhause und eine glückliche Familie errichten können. Das ist das politische Handbuch der Ungarn, wir arbeiten auch heute hieraus. Ich lese einige Ratschläge daraus vor. „Die Ausübung der Tugend der Güte wird dich zum vollkommenen Glück führen. Sei barmherzig zu einem jeden, der Gewalt erlitten hat, vergiss‘ in deiner Seele nie die göttliche Mahnung: Ich will Barmherzigkeit und kein Opfer. Sei nachsichtig mit allen, nicht nur mit den Mächtigen, sondern auch jenen gegenüber, die keine Macht besitzen. Dann sei seelisch stark, damit dich dein gutes Schicksal nicht überheblich werden lässt und das Unglück doch nicht in den Staub werfe! Sei auch demütig, damit Gott dich jetzt und in der Zukunft erhöhe! Sei sanft, damit du dich niemals gegen die Wahrheit wendest! Sei ehrlich, damit du niemandes schlechten Ruf absichtlich begründest!” Und jetzt unser Liebling, das Lieblingszitat der Ungarn: „Merke dir, dass (…) du ohne Zorn, Hochmut und Hass, in Frieden, in der Seele demütig und sanft herrschen musst, denn jeder Mensch wird in dem gleichen Zustand geboren, und nichts erhebt dich, nur die Demut, nichts stürzt dich, nur der Hochmut und der Hass.” Hieraus arbeitet auch heute die ungarische Regierung. Das ungarische Volk und die ungarische Regierung glauben also daran, dass die christlichen Tugenden jenen zum Frieden und zum Glück führen können, der sie ausübt. Deshalb sagt unsere Verfassung: „Die Verteidigung der konstitutionellen Identität Ungarns und seiner christlichen Kultur ist die Pflicht aller Organe des Staates.” Das ist das Erbe, Exzellenzen, das uns verpflichtet, unseren Kräften entsprechend in der Welt jene christlichen Gemeinschaften zu schützen, die der Verfolgung ausgesetzt sind.

Sehr geehrte Konferenz!

Die Ungarn machen 0,2 Prozent der Weltbevölkerung aus. Hat das Engagement und das Auftreten solch eines Volkes einen Sinn? Unsere Antwort lautet: ja. Und Ihre Anwesenheit, Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Ansporn, dass Sie heute hier sind, überzeugt uns davon – ganz zu schweigen von der Geschichte des Christentums, die zwölf Apostel haben damals sicherlich einen kleineren Anteil der Menschheit ausgemacht als heute die Ungarn, trotzdem sind wir alle hier. Unserer Überzeugung nach inspiriert das Gute Gutes, das Engagement, das Engagement der Ungarn wird auch Mut hervorrufen, das Beispiel kann sich weiter verbreiten, das Handeln kann die Gelähmten befreien und den Glauben an den Sinn der persönlichen Tat zurückgeben. Als wir das Auftreten gegen die Christenverfolgung in den Rang der staatlichen Politik erhoben haben, wer hätte gedacht, dass wir einige Jahre so viele hier in Budapest sein werden?

Sehr geehrte Gäste!

Die nächste Frage, die die ungarische Regierung beantworten muss, lautet folgendermaßen: Gibt es nicht genug gegen die Christenfeindlichkeit hier in Europa zu tun? Warum müssen wir auf anderen Kontinenten Hilfe leisten? Es ist die Überzeugung der ungarischen Regierung, dass die beiden Dinge, die Probleme des Christentums in Europa und die Verfolgung der Christen in Afrika sowie im Nahen Osten nicht voneinander getrennt werden können. Die Fakten sind bekannt, von fünf wegen ihres Glaubens Verfolgten sind vier Christen; 2018 wurden 245 Millionen Christen verfolgt; wir wissen von 4.300 Christen, die man wegen ihres Glaubens getötet hat; 1.847 christliche Kirchen oder andere christliche Institutionen sind angegriffen worden. Europa schweigt trotzdem, schweigt immer und immer wieder. Eine rätselhafte Kraft verschließt den europäischen Politikern den Mund und lähmt ihre Arme. In Europa kann die Christenverfolgung nur eine Frage der Menschenrechte sein. Und wenn es eine Menschenrechtsfrage ist, dann kann man die Christen gesondert auch gar nicht benennen, nur zusammen mit den anderen auf Grund ihres Glaubens verfolgten Menschen, und auf diese Weise verschmelzen die Christen und die Christenverfolgung mit der vielfarbigen Familie der wegen ihrer Religion verfolgten. Auch das ist schon etwas von den Politikern, auch das darf man nicht unterschätzen, aber wir müssen wissen, es lohnt sich zu wissen, dass jene, die die Christenverfolgung nur als ein humanitäres Problem ansehen, darüber nicht reden, was am wichtigsten ist. Nicht nur einzelne Menschen, nicht nur einzelne Gemeinschaften, sondern eine ganze Kultur wird auf organisierte und umfassende Weise attackiert: unsere Kultur, unsere Zivilisation. Nicht nur in Afrika, nicht nur im Nahen Osten, sondern hier in Europa, auch auf dem Boden der bisher erfolgreichsten christlichen Zivilisation. Die Formen der Attacke sind vielfach: Bevölkerungsaustausch, Einwanderung, Stigmatisierung, Verspottung, der Maulkorb der politischen Korrektheit.

Sehr geehrte Gäste!

Warum wird all das jetzt hier, in Budapest, gesagt? Es ist meine eigene persönliche Erfahrung, dass heute zahlreiche gute und wahre christliche Politiker in Europa arbeiten, aber in dem heutigen europäischen Zeitgeist, unter den Kräfteverhältnissen in der heutigen Medienwelt, unter der Last ständiger Koalitionsverhandlungen können sie nicht, wagen sie nicht, wollen sie nicht sprechen. Hier, in Ungarn, ist die Situation eine andere. Eine Regierung ohne Koalition, politische Stabilität, eine die Einwanderung ablehnende Stimmung in der Öffentlichkeit, eine den Schutz der christlichen Kultur fordernde Mehrheit, die sagt: Wir sollten nicht das Problem hierher bringen, sondern die Hilfe dorthin bringen, wo das Übel besteht. Ungarn liegt auf der Route der muslimischen Einwanderungsinvasion, es muss sich schützen, und das weiß hier in Ungarn ein jeder. Es ist der Ausgangspunkt der ungarischen Politik, dass wir, Christen, das Recht haben, unsere Kultur und die ihr entspringende Lebensform zu verteidigen. Wir sind frei, dies zu tun. In Ungarn besteht Übereinstimmung auch darin, dass wir den unmittelbar in Not geratenen Gemeinschaften Unterstützung leisten müssen, nicht den Agenturen, sondern unmittelbar den in Not geratenen Gemeinschaften. Deshalb suchen wir den Kontakt zu den führenden Persönlichkeiten der dortigen Kirchen, denn über sie wissen wir, dass sie die völlige Verantwortung für ihre Gemeinschaft übernehmen, über sie wissen wir, dass sie auch unter den unseligen Bedingungen aushalten werden. Im Gegensatz zu den Politikern vieler europäischer Länder denken wir, dass man den Menschen einen Anreiz geben muss, damit sie dort leben und stärker werden können, wo ihre Ahnen seit Jahrhunderten gelebt haben. Die Hilfe ist nicht zur Abreise nötig, sondern zum Zuhausebleiben. Im Rahmen des Programms Hungary Helps finanzieren wir aus diesem Grund den Wiederaufbau zahlreicher Schulen, Kranken- und Wohnhäuser im Irak und in Syrien. An Orten, an denen man bisher vielleicht nicht einmal gewusst hat, dass Ungarn überhaupt existiert. Darüber hinaus ermöglichen wir für zahlreiche verfolgte christliche Jugendliche aus dem Nahen Osten und aus Afrika auch die Möglichkeit an Universitäten in Ungarn weiterzustudieren, auch für jene, die in ihrer Heimat wegen ihres Glaubens niemals die Möglichkeit hätten, an eine Universität aufgenommen zu werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Eminenzen! Liebe Brüder!

Und schließlich noch darüber, dass der größte Irrtum, den ein europäischer Mensch aussprechen kann, nachdem er über die Verfolgung der Christen gehört hat, darin besteht, zu glauben, dies könne mit ihm, in seinem Land niemals geschehen. Viele Menschen wähnen sich sicher in diesem Irrglauben. Dabei hat der Terror auch schon bisher mehrmals in Europa zugeschlagen. Wir wissen auch, dass die westlichen Länder Europas dem Islamischen Staat zahlreiche Soldaten gegeben haben, die doch hier geboren worden sind, im Westen, und dort auch die Schule besucht haben. Wir wissen auch, dass mit der illegalen Migration unkontrolliert Massen von Anhängern des radikalen Islam nach Europa gekommen sind. Die demographischen Prognosen zeigen ebenfalls, dass es in der nicht fernen Zukunft europäische Länder geben wird, in denen sich die Verhältnisse im religiös-kulturellen Bereich schnell ändern werden. All das, was in Syrien, im Irak geschehen ist oder was gerade in Nigeria sich vollzieht, ist also viel näher bei uns als es viele Menschen annehmen würden. Wir sind der Ansicht, Europa kann hiervon nur dadurch gerettet werden, wenn es zur Quelle seiner wahren Werte, zur christlichen Identität zurückfindet. Mit einem Wort: Liebe Brüder, auch wir, europäische Christen, befinden uns in großer Not. Meiner Überzeugung nach können uns zur Rettung Europas heute gerade jene die größte Hilfe bieten, denen wir jetzt helfen. Die Beständigkeit der Leidenden ist die Aussaat der Samen. Wir geben heute den verfolgten Christen, was sie benötigen: Ein Heim, Krankenhäuser, Schulen, und wir bekommen von ihnen zurück, was Europa am meisten braucht: christlichen Glauben, Liebe und Beständigkeit. In diesem Geist wünsche ich Ihnen eine wertvolle Beratung!

Soli Deo gloria!

(miniszterelnok.hu)