7. November 2015, Alsólendva (Unterlimbach/Lendava)
Viktor Orbáns Rede, die er am 6. November 2015 in Unterlimbach, zum 40. Jubiläum der Gründung der Gemeinschaft der Ungarischen Nationalitätenselbstverwaltungen des Übermurgebiets (Muravidéki Magyar Önkormányzati Nemzeti Közösség) gehalten hat.
Ich wünsche einen guten Abend!
Ich begrüße hochachtungsvoll Miro Cerar, Sloweniens Ministerpräsidenten, den Leiter der Ungarn im Übermurgebiet, Herrn Ferenc Horváth, ich begrüße die Ungarn des Übermurgebietes und auch die hier lebenden Slowenen. Mein erstes Wort ist das des Respekts. Respekt und Anerkennung für all jene, die dazu beigetragen haben, dass im Laufe der vergangenen vierzig Jahre die hier lebende ungarische Gemeinschaft ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Organisiertheit bewahren konnte.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Es ist immer eine Erfrischung, ins Übermurgebiet zu kommen. István Hagymás schreibt über Lendva – ich zitiere ihn –: „es ist der Wachtposten des Übermurgebiets, das sich unten wie ein kleines Karpatenbecken erstreckt.” Zitat Ende. Diese Feststellung beinhaltet verdichtet, dass das Übermurgebiet über Jahrhunderte eines der Wachtgebiete des christlichen Europas war. Zwar über das Übermurgebiet hinausgehend, doch nicht weit von hier liegt Csáktornya (Tschakturn), was uns heute besonders in den Sinn kommt, denn dort lebte Lajos Göncz, der Honvédhauptmann des 1848-er Freiheitskampfes, dessen Urenkel, Árpád Göncz, als würdiger Nachfolger dieser Tradition, der erste frei gewählte Staatspräsident Ungarns nach dem Systemwechsel wurde. Ihn haben wir heute auf seinem letzten Weg begleitet. Wir haben ihm heute die letzte Ehre erwiesen, die ihm, unser aller Präsidenten, das heißt den Präsidenten der Republik der Nation, besonders zusteht. Wir danken dafür, was er für die Heimat und für uns getan hat. Wir bewahren sein Andenken.
Sehr geehrte Damen und Herren!
In dieser Gegend kann man eine ehrenwerte Sache erfahren. Man kann das Gefühl erleben, dass jene, die in verschiedene Nationen hineingeboren worden sind, trotzdem zusammengehören. Sie bewahren gemeinsam Werte, die von Slowenen und Ungarn gemeinsam geschaffen worden sind, und die sie auch gemeinsam schützen müssen. Die im Übermurgebiet lebenden Menschen lehren heute Europa, dass uns viel mehr Dinge verbinden als uns trennen. Diese Tatsache erkennt auch die slowenische Verfassung an, indem sie die Ungarn als indigene nationale Gemeinschaft erwähnt und schützt. Wir danken dem Ministerpräsidenten Sloweniens, dass er der Freund und Unterstützer der hier lebenden Ungarn ist. Und dies hält auch das Grundgesetz Ungarns fest, das aussagt, dass wir die mit uns zusammenlebenden Nationalitäten, so auch die Slowenen Ungarns, als Teil der ungarischen politischen Gemeinschaft und als staatenbildenden Faktor ansehen. Wir verstehen Europa auf diese Weise. Unserer Ansicht nach ist dies das Wesen Europas: die gegenseitige Achtung voreinander, die gegenseitige Anerkennung und der Respekt für die Werte, die Muttersprache und die Kultur des anderen.
Es gibt hier also einen Winkel Europas, der Europäischen Union, den man aus Brüssel vielleicht weniger, doch von Ljubljana und Budapest aus sehr gut sehen kann. Vielerlei Völker lebten und leben hier, dies ist eine vielfarbige Welt. Bei zahlreichen Anlässen ist die Geschichte durch sie hindurchmarschiert. Als aber die Armeen wegmarschiert waren, sind die Menschen zurückgekehrt und haben ihr früheres Leben wiederaufgebaut, haben ihre Muttersprache bewahrt, haben ihre Kultur bewahrt und haben ihren Glauben bewahrt. Jeder seinen eigenen. Wenn Zuhause das Übermurgebiet zur Sprache kommt, fragen wir einander: Ob wohl die Ungarn des Übermurgebiets erhalten bleiben? Wir sehen die sich verschlechternden Statistiken und wir sehen den Bevölkerungsschwund. Auf diese Frage können wir nur die Antwort geben, dass dies am ehesten von ihnen, den hiesigen Ungarn, das heißt von Ihnen abhängt. Wir, das Mutterland geben selbstverständlich jede Hilfe, doch können wir nicht an Ihrer Stelle entscheiden, und wir wollen es auch nicht tun. Das Ungarntum des Übermurgebiets hat auch schon bisher der gesamtungarischen Kultur, und zugleich auch der slowenischen Kultur, großartige Künstler, Schriftsteller, Dichter in einer angesichts seiner Population erstaunlich hohen Zahl geschenkt. Sie leben und arbeiten in ihrer Heimat in Frieden und Sicherheit mit den Slowenen zusammen. Aus diesem Beispiel können wir, führende ungarische und slowenische Politiker ebenfalls Kraft schöpfen.
Ja, wir müssen sogar Kraft schöpfen, meine verehrten Damen und Herren, denn die Geschichte hat heutzutage erneut unsere Tür aufgebrochen. Eine nie gesehene Menge strömt unkontrolliert über unsere Grenzen herein. Wir stehen am Beginn einer Völkerwanderung, deren Reserven unübersehbar sind. Hunderttausende Menschen mit einer anderen Zivilisation haben auch schon bisher illegal unsere Grenzen überquert, und weitere Millionen befinden sich auf dem Weg in unsere Richtung. Es ist gut, wenn wir wissen, dass es in Europa Kräfte gibt, die am liebsten schon heute die nationalstaatlichen Rahmen abbauen würden, um die Grenzen verschwinden zu lassen, und überhaupt jede Form von Hindernis, das das Strömen der Einwanderer verlangsamen würde. Es gibt Kräfte, die hierzu auch noch Geld geben würden, am ehesten natürlich aus unserem Vermögen. Wenn dies so weitergeht, wenn es uns nicht gelingt, diese Flut einzudämmen, dann werden wir auf einmal nur noch bemerken, dass jenes Europa, um das wir uns so sehr bemüht haben, gar nicht mehr existiert. Wir werden dann sehen, dass Europa weiter nicht mehr auf unseren Werten beruht, sondern auf etwas anderem. Wir werden dann sehen, dass der alte Kontinent, und in ihm auch wir selbst, sich verändert hat, dass dieser Boden nicht mehr unser Zuhause ist, nicht mehr der Raum für die erträgliche Zukunft unser Nachkommen sein wird, sondern etwas anderes. Irgendetwas Fremdes. Dies können wir nicht wollen, und dies können wir auch nicht akzeptieren.
Meine lieben Freunde! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!
Wir müssen schwere und schwerwiegende Entscheidungen treffen. Und für unsere Entscheidungen werden nicht nur die heutigen Bürger unserer Nation, unserer Nationen, nicht nur unsere Wähler Rechenschaft fordern, sondern auch unsere Nachfahren. Bis ins siebte Glied. Deshalb dürfen wir heute weder in Gedanken, noch in Worten und Werken schwach werden. Ich bin davon überzeugt – und deshalb bin ich hier –, dass wir uns für unsere nationale Identität entscheiden müssen. Meiner Ansicht nach kann auch darüber kein Zweifel bestehen, dass wir uns für Europa und die christliche Kultur entscheiden müssen. Die Dreiheit von nationaler Identität, Europäertum und unsere christlichen Wurzeln hat auch bisher Europa stark gemacht. Wenn wir auch nur auf eines davon verzichten, dann werden wir untergehen. Deshalb schlage ich vor, dass wir weder auf unsere nationale Identität noch auf Europa und auf das Christentum verzichten.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Meine lieben Freunde!
Wir Ungarn haben ein nationales Gebot. Ich zitiere es: „Jeder Ungar ist für jeden Ungarn verantwortlich.” Zitat Ende. Wir leben jetzt in Zeiten, in den wir dieses Gebot ausweiten müssen. Nur auf diese Weise können wir die Heimat der Heimaten, Europa, erhalten. Jeder Ungar und jeder Slowene, jedes einzelne Mitglied der die Union bildenden Nationen ist über seine Landsleute hinaus auch für ganz Europa verantwortlich. Dies ist ein wahrer, alter, mitteleuropäischer Gedanke. Im Zeichen der Übernahme von Verantwortung und der handelnden Solidarität helfen aus diesem Grunde beim Schutz der Grenzen Ungarns, zugleich der Grenzen des Schengen-Gebietes slowakische, tschechische und polnische Polizisten, und aus diesem Grunde kommen wir auch Slowenien zu Hilfe, wenn es notwendig ist. Sie können auf die Ungarn zählen. So wie uns also die Vergangenheit verbindet, genauso verbindet uns heute auch die Sorge um die gemeinsame Zukunft. Es hängt von uns ab, ob wir Gestalter oder Erleidende der Geschichte sein werden. Wir Mitteleuropäer haben bereits alle zusammen mehrfach erlebt, dass man ohne uns über uns entschieden hat. Heute wollen wir schon lieber Gestalter unseres eigenen Schicksals sein. Wir haben gelernt, wie man mit Verantwortung und im Interesse von uns allen die Freiheit nutzen kann, die wir uns vor 25 Jahren erkämpft haben. Wir sollten diese Freiheit dazu nutzen, um mit gemeinsamer Kraft Europa zu verteidigen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit! Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag!
(Amt des Ministerpräsidenten)